Die Kameras und Objektive des Herstellers aus Wetzlar polarisieren immer wieder die Fotowelt. Die einen halten sie für anachronistisches und überteuertes Spielzeug, die anderen schwören auf den „Leica-Look“. Wir haben uns viel Zeit mit der neuen Leica M10 genommen, um dem Mythos auf die Spur zu kommen.
Die deutsche Sprache kennt fast 12.000 Wörter und Begriffsvariationen, die mit „M“ beginnen, darunter „Magie“, „Moment“, „Meisterwerk“ – und „Messsucher“. Für Letzteres steht übrigens das „M“ in der Typenbezeichnung der Leicas, und kennzeichnet damit gleichzeitig den wichtigsten Unterschied zu allen übrigen Kameras am Markt. Einen Testbericht mit solchen Stichworten zu beginnen, mag etwas ungewöhnlich sein. Das ist das Fotografieren mit der Leica allerdings auch. Vergleichstests auf Basis von Video-Kapazitäten oder Autofokusgeschwindigkeit machen wenig Sinn, denn die M10 bietet beides nicht. Genauso gut könnte das „M“ im Namen auch für „Moneten“ stehen, denn davon brauchen Sie einige, um in den Genuss der Leica-Fotografie kommen zu können. Genau genommen 6.500 Euro – für das Gehäuse. Für ein Objektiv, wie das von uns eingesetzte Summilux 1,4/24mm ASPH, werden dann nochmals knapp 5.900 Euro fällig.
Wer jetzt noch stabil auf seinem Stuhl sitzt, darf gerne weiterlesen. Noch eines vorweg: So richtig verstanden habe ich sie übrigens nie wirklich, die Vorgängerinnen M8, M9 oder M240. Schon gar nicht einige Sondermodelle wie die M-D, die nicht mal ein Display zur Bildkontrolle bietet. Aber dann, ganz unerwartet, kam doch noch mein eigener M-Moment: ein Schnappschuss. Ein kurzer Augenblick. Und beim Blick auf das Display war sofort klar, dass es sich hier um etwas Besonderes handelt. Das Foto zeige ich hier nicht, denn es ist sehr persönlich. Genauso, wie das Erlebnis, mit der M10 zu fotografieren. Ich kann Sie daher nur ermuntern, einmal eine Leica M10 in die Hand zu nehmen und selber nachzuspüren, welchen Einfluss dieses besondere Werkzeug auf Ihre individuelle fotografische Herangehensweise nimmt.
M wie "Merkmale"
Werfen wir einen Blick auf die Spezifikationen des jüngsten M-Sprösslings, wird klar, dass sich auch unter der reduzierten Hülle so manches getan hat. Es fehlen konsequenterweise jegliche Anschlüsse wie USB oder HDMI. Die Bildübertragung findet drahtlos mit Hilfe der außerordentlich gut gelungenen App statt. Ebensogut ist das Menü gelungen, das erfreulich aufgeräumt und auf seiner Hauptseite komplett individualisierbar ist. Das Herzstück der M10 ist ein 24-Megapixel-Sensor, der mit einem hohen Dynamikumfang und toller Auflösung punktet. Die Tonwerte und Farben sind in Verbindung mit dem leistungsstarken Bildprozessor umwerfend. Die Verwendung des universellen DNG-Formats erleichtert die Nachbearbeitung und sorgt für überschaubare Dateigrößen. Der Messsucher ist im Vergleich zur Vorgängerin etwas größer geworden, was insbesondere Brillenträgern das exakte Fokussieren etwas leichter machen dürfte. Das integrierte Fokus-Peaking mit Hilfe des knackigen Displays überzeugte in der Praxis ebenfalls, besonders in Situationen, in denen aufgrund der Lichtsituation kein verlässliches Fokussieren mit dem Messsucher mehr möglich war. Oder für die Fälle, in denen Sie die Spotbelichtung nutzen wollen, denn bei der Verwendung des Messsuchers steht nur die mittenbetonte Belichtungsmessung zur Verfügung. Gleichzeitig gelang es den Ingenieuren, die Gehäusetiefe um vier Millimeter zu reduzieren. Das führt nicht nur zu weniger Gewicht, sondern verleiht der M10 eine vergleichbare Haptik wie die der analogen M6 – Schluss also mit „Backstein-Feeling“. Der Verschluss läuft satt, aber dezent ab, und aufgrund des immer noch recht hohen Gehäusegewichts und ohne Vibrationen durch einen Spiegelmechanismus sind auch längere Verschlusszeiten gut aus der Hand realisierbar.
M wie "Makel"
Nichts ist perfekt, und das gilt auch für das Schmuckstück aus Wetzlar. Die geringere Gehäusetiefe hat leider auch zur Folge, dass der Akku kleiner und damit seine Kapazität geringer wurde. Bei regelmäßiger Bildkontrolle und Verwendung von Wi-Fi oder Live-View machte der Akku schnell schlapp. Ein bis zwei Ersatzakkus sollten Sie immer dabeihaben. Anschlüsse wie USB oder HDMI suchen Sie wie erwähnt vergebens. Auch Akku und Speicherkarte lassen sich nur wechseln, wenn Sie die Bodenplatte abnehmen. Zwar macht dies das Gehäuse aufgeräumter, ist in der Praxis aber lästig und schränkt die Stativverwendung ein. Ein Relikt aus analogen Zeiten, das Leica aufgeben sollte. Was trivial klingt, störte uns auf Dauer: Die Gurtösen sind so angebracht, dass die Kamera leicht nach vorne kippt. Weil der mitgelieferte Gurt nicht verstellbar ist, drückte die Metallkante der Unterseite auf die Hüftknochen – ein blauer Fleck war nach einigen Stunden die Folge. Video-Fans werden mit der M10 nicht bedient, und auch auf einen Touchscreen müssen Sie leider verzichten.
M wie "mittendrin"
Wieder zurück zum Wesentlichen. Ach ja: „Das Wesentliche“, der Leitspruch des Herstellers. Und etwas, was ihm mit der M10 so gut gelungen ist, dass man eventuelle Unzulänglichkeiten und fast schon obszön hohe Preise kaum mehr infrage stellt. Leica folgt mit der M10 diesem Credo konsequent. Kein Pragmatiker würde eine Leica kaufen, rationalen Sinn macht das auf den ersten Blick auch nicht. Aber es bewegt. Das Fotografieren mit der M10 erzeugt andere Ergebnisse, weil der gesamte Prozess sich verändert. Er wird nicht komfortabler oder effizienter. Aber er wird augenblicklicher, involvierter. Als Fotograf fühlt man sich so inmitten des Geschehens, nicht als Beobachter von außen. Einfach ganz im „M wie Moment“.
Den detaillierten Testbericht können Sie in der DigitalPHOTO-Ausgabe 8/2017 nachlesen.
Leica M - Tradition - Innovation: 1954 bis heute/ until today: 1954 bis heute/ until today (zweisprachig: Deutsch / Englisch)
Fazit
Mit der M10 gelingt Leica die Versöhnung von Tradition und Moderne. Die Arbeit mit dieser Kamera ist als Gesamterlebnis zu verstehen, mit allem Für und Wider. Leica hat hier eine fantastisch verarbeitete Kamera mit toller Benutzerführung entwickelt, die – richtig eingesetzt – einzigartige Ergebnisse liefert. Nehmen Sie einfach einmal eine M10 in die Hand. Fühlen Sie. Sehen Sie. Und lassen Sie sich vorab noch eine gute Begründung für Ihre Hausbank einfallen – nur für den Fall, dass Sie Ihren eigenen M-Moment erleben sollten.
- Verarbeitung, Materialqualität und Haptik liegen auf höchstem Niveau
- Tolle Farb- und Tonwertwiedergabe
- Rauscharme Aufnahmen mit guter Farbtreue auch bei höheren ISO-Werten
- Bildübertragung per Wi-Fi sehr gut umgesetzt
- Kürzere Akku-Laufzeit als bei Vorgängermodellen; kein Touchscreen oder Videofähigkeit