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Objektive zum Tilten & Shiften

Nur wenige Objektive sind so speziell wie die der Tilt-Shift-Klasse. Vor allem in der ­Architektur- und Produktfotografie sind die hochpreisigen Optiken beliebt. Doch wo liegt der Zauber der beweglichen Objektive? Und: Sind sie in Zeiten von funktionsreichen Bildbearbeitungsprogrammen ­überhaupt noch nötig?

Das verbirgt sich hinter Tilt-Shift-Objektiven

Die Kamera- und Objektivhersteller von Tilt-Shift-Modellen scheinen einen Gefallen an den beweglichen Optiken zu haben. Zumindest könnte dieser Eindruck entstehen, wenn man sich das aktuelle Line-Up von Canon und Nikon einmal anschaut: Satte neun Optiken zählt das Tilt-Shift-Portfolio der japanischen Elektronikriesen. Erst Ende letzten Jahres kamen drei neue Canon-Optiken hinzu. Wozu das Engagement für eine vermeintlich kleine Zielgruppe?

Um die Frage zu beantworten, schauen wir uns zunächst einmal die Funktionsweise der hochpreisigen Optiken an. Ja, den Preis darf ich Ihnen nicht vorenthalten: So sind die drei Tilt-Shift-Neuheiten von Canon mit den Brennweiten von 50, 90 und 135mm allein wegen eines Neupreises von je 2.549 Euro ausschließlich an Profifotografen adressiert. Wer für eine solch hübsche Stange Geld Technikschmankerl wie leistungsstarke Bildstabilisierung und einen pfeilschnellen Autofokus erwartet, wird zunächst enttäuscht sein. Tilt-Shift-Objektive sind durchweg manuell einstellbare Optiken. Kein Autofokus, kein Bildstabilisator. Doch Obacht: Für Profis haben Modelle dieser Objektivklasse dennoch ihre Daseinsberechtigung und sind ihr Geld wert. Das gilt auch in Zeiten der digitalen Bildbearbeitung.

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Zurück zu Balgenkameras

Um den Sinn hinter Tilt-Shift-Optiken zu erklären, blicken wir einige Jahrzehnte zurück in eine Zeit, in der Fachkameras mit einem frei beweglichen Balgen noch keine Rarität waren. Der flexible Balgen ist nämlich sozusagen der Vorreiter der Tilt-Shift-Objektive. Mit dem Verschieben (engl. shift) der Objektivebene nach unten oder oben, links oder rechts wird der Bildausschnitt entsprechend verschoben. Ein klassisches Anwendungsbeispiel für das Shiften eines Objektivs ergibt sich in der Architekturfotografie bei der Aufnahme eines Hochhauses. Selbst mit einem Weitwinkelobjektiv muss in der Regel die Kamera nach oben geschwenkt werden, damit das gesamte Hochhaus abgebildet wird. Das Ergebnis zeigt sich in stürzenden Linien. Es entsteht der Effekt, als ob das Gebäude nach hinten kippen würde.

Hier kommt das Tilt-Shift-Objektiv zum Einsatz. Die Kamera wird parallel zum Gebäude im Lot ausgerichtet. Das verhindert stürzende Linien. Damit nun auch das gesamte Haus abgebildet wird, kann die Objektivebene so weit nach oben geshiftet werden, bis der gewünschte Bildausschnitt erreicht ist. Sollte der maximale Shift-Bereich nicht ausreichen, hilft es, die Aufnahmedistanz zu vergrößern. Da das Problem der stürzenden Linien eine Herausforderung für viele Architekturfotografen darstellt, finden sich im Tilt-Shift-Bereich vor allem Weitwinkelobjektive wie etwa 17 bis 24mm Brennweite. Die drei Objektivneuheiten von Canon bieten mit ihren vergleichsweise langen Brennweiten von 50 bis 135mm und einer Makro-Funktion die passende Wahl für Produktfotografen. Und genau hier kommt auch die zweite Funktion der Objektive, der Tilt-Mechanismus, oft zum Einsatz.

Schärfenebene neigen

Jetzt wird es technisch, aber nicht kompliziert: Bei handelsüblichen Objektiven ist die Sensorebene stets parallel zur Objektivebene. Da­raus ergibt sich eine ebenfalls zu diesen beiden Ebenen parallele Schärfeebene. Das Phänomen haben wir alle schon einmal gesehen: Wir fotografieren eine Person mit einer offenen Blende: Alles, was sich vor und hinter dem Gesicht befindet, ist unscharf. Beim Tilten wird die Objektivebene nun geneigt, entsprechend verändert sich auch der Winkel der Schärfeebene. Klar, denn das Ergebnis aus einer senkrechten Sensorebene und einer geneigten Objektivebene erzeugt eine ebenfalls geneigte Schärfeebene. Dieses Phänomen bestätigt die Scheimpflugsche Regel.

Diese Regel machen sich z. B. Produktfotografen zunutze, wenn sie ein Motiv mit schräger Oberfläche durchgehend scharf abbilden möchten. Wer mitdenkt, wird nun behaupten, dass dafür auch Focus Stacking möglich sei. Und tatsächlich kommt Focus Stacking, also das Überlagern mehrerer Fotos mit unterschiedlichen Schärfeebenen, dem Einzelfoto des Tilt-Shift-Objektivs sehr nahe. Einen vollwertigen Ersatz bietet Stacking allerdings nicht. Grund dafür ist, dass neben der Schärfe- natürlich auch die Unschärfeebene schräg verläuft und das ist mit Focus Stacking nicht umsetzbar.

Fazit zu Tilt-Shift-Objektiven

Der Zauber um die Klasse der Tilt-Shift-Objektive ist letztlich schnell und simpel erklärt. Die Spezialobjektive machen Lust aufs Ausprobieren von verschiedenen Bildlooks und Unschärfeeffekten. Tilt-Shift-Optiken mit Telebrennweite machen die Objektivklasse sogar für Por­träts salonfähig! Klasse – wenn da nicht die hohe preisliche Hürde wäre. Ein guter Rat ist demnach, ein solches Objektiv erst einmal zur Miete auszuprobieren, oder mit einer einfach gehaltenen Lensbaby-Optik in die Welt des Verschiebens und Neigens zu blicken.

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