Als Jazz-Trompeter hat es Till Brönner zu Weltruhm gebracht, doch als ob dem gebürtigen Viersener ein herausragendes Talent nicht reicht, griff er irgendwann zur Kamera und begann, erfolgreich Schauspielstars und Musiker zu porträtieren. Mit seinem Fotoprojekt „Melting Pott“ ging er nun neue Wege – quer durch den Ruhrpott.
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Der Trompeter, Komponist, Sänger und Musik- Professor Till Brönner wurde 1971 in Viersen geboren und studierte Jazztrompete an der Hochschule für Musik in Köln. 1993 erschien sein erstes eigenes Album. Seither finden sich seine Tonträger regelmäßig in den Charts. Er schrieb Soundtracks zu Kinofilmen, spielte mit internationalen Topstars der Musikszene, war Jurymitglied in der Castingshow „X Factor“ und musizierte auf Einladung von US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus. Als Fotograf zeigt Brönner, dass er auch Bilder komponieren kann. Seine Porträtserie „Faces of Talent“ erschien als Bildband im Verlag teNeues. Brönner lebt in Berlin und Los Angeles.
Klang des Ruhrpotts
Die Aufgabe klingt schier überwältigend: Ein Jahr lang sollte der bekannteste deutsche Jazz-Musiker und leidenschaftliche Fotograf Till Brönner das Ruhrgebiet mit seiner Kamera dokumentieren. Also begab er sich auf die Suche nach den Gesichtern der Region, nach Industrieanlagen und den Stars, die in Deutschlands größten Ballungsraum leben und arbeiten. Unter dem Titel „Melting Pott“ werden die Bilder, die er erstellt hat, nun im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst Duisburg ausgestellt.
Fotograf Till Brönner im Interview
DigitalPHOTO: Herr Brönner, wie würden Sie als Musiker den Klang des Ruhrgebiets beschreiben?
Till Brönner: Mit Musik hat das Ruhrgebiet unbedingt zu tun. Bei längeren Streifzügen hat man eine Art Road-Movie vor Augen. Arbeit, Industrieruinen, weite Landstriche, erstaunlich viel grün – dazu fällt mir zum Beispiel die Musik von Ry Cooder ein, der wunderbare Filme von Wim Wenders mit seiner Musik bereichert hat. Das passt auch ins Ruhrgebiet.
Und welche Bilder hat der Fotograf Till Brönner im Kopf, wenn er sich den Ruhrpott vorstellt?
Am Anfang waren es die Klischees, an denen auch immer etwas dran ist. In einem ganzen Jahr Ruhrgebiet stellt man jedoch fest, dass es wie so häufig die Menschen und ihre Mentalität sind, die das Bild stärker als jede graue Häuserfassade prägen. Wenn man den Seelenzustand der sogenannten Ruhris zugrunde legt, so sollte es dem Ruhrpott gut gehen, vermute ich. Das ist ein aufrichtiges Kompliment.
Ein Jahr lang haben Sie das Ruhrgebiet dokumentiert und porträtiert. Wie kam es dazu?
Als die Essener Brost-Stiftung mich anrief und mir das Projekt antrug, wusste ich zunächst nicht ganz, was man genau von mir wollte. Ich wusste auch nicht, ob ich auf Ruhrgebiet als Thema Lust hatte. Ich war gerade einmal knapp zwei Jahre in Los Angeles und mein Fokus lag auf Kalifornien – sowohl musikalisch als auch fotografisch. Wer dort fotografiert, ist verwöhnt von luxuriösem Licht und ebensolchen Motiven. Doch bei näherem Hinsehen bot sich mir eine echte Chance, die ich heute rückblickend Gott sei Dank wahrgenommen habe. Ich bin fast ein anderer Mensch durch die Zeit geworden.
Sie sind nicht weit vom Ruhrgebiet geboren. Gibt es Kindheitserinnerungen an die Region – oder gar Gemeinsamkeiten mit Ihrer Geburtsstadt?
Nicht sehr viele. Aber die Aufgeschlossenheit und der Pragmatismus haben sich streckenweise tatsächlich bis an den Niederrhein niedergeschlagen – meiner alten Heimat eben.
Mit keiner anderen Kamera habe ich je so unmittelbare Reaktionen hervorrufen können wie mit der Leica M.
Till Brönner, Musiker und Fotograf
Wie geht man vor, wenn einem gesagt wird „Fotografiere den größten deutschen Ballungsraum“? Wie sah Ihre Recherche aus?
Das erste Herumfahren hat mich schockiert, da bin ich ehrlich. Schönheitswettbewerbe werden woanders gewonnen. Man kann der Inhomogenität auch irgendwo gar nicht entkommen und es gibt Häuserblocks und –zeilen, die so absurd sind, dass man sich am Kopf kratzt. Was dann einsetzte, war lustig für mich. Es war so etwas wie ein Geisterfahrer-Effekt. Ich erkannte: Der Falschfahrer, das war ich selbst. Ab diesem Moment fotografierte ich schließlich nicht mehr das, was ich suchte, sondern das, was mir begegnete. Ich begann zu verstehen, dass die Menschen in der Region Dinge geleistet hatten, die nicht selbstverständlich sind.
Hochöfen, das Leben Untertage: Der Ruhrpott ist eine Arbeiterregion. Wie waren Ihre Eindrücke?
Ich habe festgestellt, dass zwei Weltkriege und ein Leben in großer Gefahr Untertage einen Zusammenhalt gefordert hatten, der drin ist in dieser Ruhrpott-DNA. Wer falsch spielt, ist raus, weil er eine potenzielle Gefahr für Leib und Leben anderer ist. Die Steinkohle ist nun Vergangenheit und automatisch stellt sich die Frage nach der Zukunft. Auch fotografisch war das nicht so einfach und ich denke, dass es eine andere, geduldigere Zeitrechnung braucht, um aus Thesen neue Tatsachen zu schaffen.
Hatten Sie direkt Motive im Kopf, die Sie unbedingt festhalten wollten?
Es gibt Unmengen von fotografischem Material. Geradezu erdrückend. Ich merkte schnell, dass es nicht darum gehen konnte, all das erneut zu fotografieren. Ich entschied mich in der Folge, meiner ganz persönlichen Sicht auf das Ruhrgebiet zu trauen und Raum zu geben. Wer meine Fotografie kennt, der merkt das auch.
Ihre Fotos zeigen die Architektur der Region, Schnappschüsse, aber auch Größen wie Mario Götze. Starporträts kannte man von Ihnen bereits. Waren Straßenszenen für Sie eher Neuland?
Porträts sind irgendwo meine Stärke. Aber hinter jedem guten Porträt steckt potenziell auch eine Straßenszene. Bekannte Fotografen sind nicht selten für etwas bekannt, das nur eine kleine Facette ihres eigentlichen Schaffens abdeckt. Da wären wir bei den Schubladen, die mir auch als Musik-Künstler oft begegnen.
Sie fotografieren mit Leica? Welche Kamera(s) hatten Sie für dieses Projekt im Einsatz?
Meine Leica M (Leica M Monochrom, Anm. d. Red.) ist so etwas wie ein garantierter Türöffner. Mit keiner anderen Kamera habe ich je so unmittelbare Reaktionen hervorrufen können. „Oh, heute mal mit ’ner ‚richtigen‘ Kamera – verstehe!“ Diesen begeisterten Ausspruch kennt eigentlich jeder Leica-Fotograf. Und es stimmt, der Look erinnert an etwas, das man nie müde wird anzusehen, finde ich. Das gilt auch für das Fotografieren mit einer „M“.
Welche Fotografen inspirieren Sie?
Es gibt tolle Fotografen der Gegenwart. Einige davon kommen den großen Pionieren von damals erstaunlich nahe. Am Ende ertappt man sich dennoch meist dabei, wie man die Bücher und Kataloge der Alten hervorholt, weil sie Emotionen in einem hervorrufen. Ich will den Grund für die Existenz eines Fotos, das gezeigt werden soll, sofort erkennen. Beeindruckende Fotos gibt es heute viele. Bleibende hingegen so selten wie eh und je. Mich beruhigt das immer ein wenig.
Wie kann man sich einen Fototag bei Ihrem einjährigen Ruhrpott-Projekt vorstellen?
Meine Fototouren waren eine Mischung aus Streifzügen und gezielter Recherche. Natürlich kann man von Prominenten keine Fotos machen, wenn man sie vorher nicht höflich anfragt. Aber eine Zusage ist noch kein gemachtes Foto. Da muss man streckenweise telefonieren und dranbleiben wie ein investigativer Journalist. Zum Schluss muss man sich ein weiteres Mal die Freigabe für ein Foto holen, wenn man es in Lebensgröße hängen und drei Monate zeigen möchte. Das kostet Zeit, die man geduldig aufbringen muss. Was die Recherche angeht, so bekommt man die wertvollsten Tipps am besten von den Menschen im Pott selbst. Man legt Hemmungen immer mehr ab und fragt drauf los. Wenn das Gegenüber meine Ernsthaftigkeit spürt, habe ich großzügige und sehr freundliche Antworten bekommen.
Ein solches Projekt kann man nur schwer als beendet oder vollständig betrachten.
Till Brönner, Musiker und Fotograf
Wie haben Sie die Menschen wahrgenommen – was bleibt in Erinnerung?
Der überwiegende Teil der Menschen im Ruhrpott ist klar und geradeaus. Anders kann ich es gar nicht sagen. Wer nur labert, wird sofort entlarvt. Es ist, entschuldigen Sie den Ausdruck, wie ein eingebauter Bullshit-Filter, über den die Menschen hier verfügen. Mir sind große Kontraste begegnet. Reich und Arm leben teilweise nur von einer Straße getrennt nebeneinander. Es gibt Armut und Verwahrlosung auf einem Level, das man im Jahr 2019 in Deutschland nicht für möglich halten mag. Eine heilsame Erfahrung für mich. Ich komme viel rum in der Welt mit meiner Trompete. Doch vor die eigene Haustür hatte es mich offensichtlich noch nicht so verschlagen. Ich sehe Deutschland jetzt anders.
Auch fotografisch gab es Kontraste: Sie haben sowohl in Schwarzweiß als auch in Farbe fotografiert. Wann fiel die jeweilige Entscheidung?
Das habe ich alles ganz in Ruhe hinterher entschieden, als ich die Bilder gesichtet habe – ein Vorteil der digitalen Welt.
Apropos: Wie sieht die Nachbearbeitung aus?
Natürlich muss ein Foto digital entwickelt werden. Ich bin aber kein großer Technik-Ritter. Das hat dann zur Folge, dass ich zumindest versuche, bereits so zu fotografieren, wie ich es später einmal sehen möchte. RAW-Dateien sehen oft fürchterlich aus, doch was man heute aus ihnen alles herausholen kann, ist entscheidend. Ich liebe Capture One, vor allem für die Farbfotografie, stamme aber aus dem Lightroom-Lager. Bei diesem Projekt „Melting Pott“ geht es um Echtheit. Ich stelle nichts her, das es nicht gibt, und retuschiere extrem wenig.
Wie schwer war die Bildauswahl? Nach welchen Kriterien sind Sie vorgegangen?
Ich habe sehr viele Bilder gesammelt, wie man sich vorstellen kann. Und es fehlt trotzdem immer irgendetwas Wichtiges. Wenn du dich daran gewöhnt hast, wirst du freier, auch in der Hängung für die Ausstellung. Ich habe in Duisburg durch die Kuratorin Eva Müller-Remmert und den Museumsdirektor Prof. Walter Smerling wertvolle Unterstützung erfahren. Beide kennen „ihr“ Haus, das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, in- und auswendig. Das hilft enorm und macht zudem großen Spaß.
Was war der schönste und was der schwierigste Moment während des Fotoprojekts?
Das Projekt „Melting Pott“ ist ja keine Retrospektive oder Langzeitstudie. Ich fotografierte nur ein Jahr in einem 18-Millionen-Menschen-Gebiet. Das ist eine sehr, sehr kurze Zeit. Ich habe noch nie ein Projekt erlebt, in dem alle Vorgänge derart gleichzeitig vonstattengingen. Natürlich habe ich erst einmal alleine fotografiert. Doch bis zum Schluss, selbst als schon Bilderzahl, Rahmengrößen und -farben entschieden waren, änderten sich die Dinge noch und ich fotografierte weiter. Das zerrt ordentlich an den Nerven der Beteiligten und der Schlaf verkürzt sich gefährlich. Meine Berliner Familie hat mich gar nicht mehr gesehen. Am schwierigsten waren für mich Momente, in denen ich persönlichen Schicksalen und Tragödien so nahe kam, dass ich den Beschützer in mir laut schreien hörte. Beispielsweise das Friedensdorf in Dinslaken, einer bewundernswerten Einrichtung mit ebensolchen Mitarbeitern. Am schönsten war vielleicht der Moment, als ich das Ergebnis erstmals ortsansässigen Menschen gezeigt habe und ich merkte, dass sie ehrlich angefasst waren. Da kam dann ein kleines Gefühl, auf dem richtigen Weg gewesen zu sein, auf. Wahrscheinlich kann man ein solches Projekt nur schwer als beendet oder vollständig betrachten. Filmemacher kennen das gut. Ein Film wird nicht fertig, man beendet nur die Arbeit.
Deutschlands bekanntester Jazz- Musiker ist seit einigen Jahren auch erfolgreich als Fotograf unterwegs. Mit seiner Porträtserie „Faces of Talent“, für die er Weltstars wie Armin Müller-Stahl, Seal oder Lenny Kravitz fotografierte, setzte er ein erstes Ausrufezeichen. Jetzt zeigt Brönner, dass er auch dokumentarisch arbeiten kann. Ein Jahr lang fotografierte er den Ruhrpott – Deutschlands größten Ballungsraum. Das Museum Küppersmühle in Duisburg zeigt unter dem Titel „Melting Pott“ Brönners erste museale Einzelausstellung.
Duisburg | bis 6. Oktober