Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie ist eine Gruppenausstellung mit Oliver Boberg, Sonja Braas, Julian Charrière, Shirley Wegner und Thomas Wrede. Der Fokus der Ausstellung liegt auf dem Thema „Natur“ und deren Imitation.
Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie
Pressemitteilung von Artpress:
Laufzeit: 11. Januar bis 26. April 2020
Eröffnung: Freitag, 10. Januar 2020, 19–21 Uhr
Alfred Ehrhardt Stiftung | Auguststr. 75 | 10117 Berlin
Eröffnungsrede: Dr. Christine Jádi, Kuratorin
Was ist echt und was ist falsch? Welche Wahrheit meinen wir zu erkennen? Oder ist doch alles nur eine Täuschung? Diese Fragen, die die Fotografie seit ihren Anfängen begleiten und in der heutigen Medienkultur prononcierter sind denn je, stehen im Mittelpunkt dieser Ausstellung.
Der Fokus liegt auf dem Thema „Natur“ und deren Imitation. Die Nachbildung einer Naturform birgt andere Schwierigkeiten als die Nachbildung einer vom Menschen geschaffenen, ohnehin schon künstlichen Form. Als wahre Meister der Illusion erzeugen die Künstler*innen Miniaturen von Fantasieorten, Meeres-, Schnee- und Gebirgslandschaften, urbanen Räumen oder Naturgewalten. Das Modellhafte verschwindet im Medium der Fotografie zunehmend und nicht selten entsteht der Eindruck einer täuschend echten Naturabbildung. So beispielsweise in den Bildern von Sonja Braas, in denen uns Katastrophen wie Vulkanausbrüche, Wirbelstürme oder Überflutungen in all ihrer Theatralik entgegenschlagen. Die Schrecken und Furcht einflößenden Naturschauspiele, die zugleich von außergewöhnlicher Schönheit sind, verweisen zwar auf romantische Vorstellungen des Erhabenen, verstehen sich aber eher als Kommentare zur omnipräsenten Bilderflut.
Thomas Wrede zeigt in seinen Fotografien entlegene, ortlose und unwirtliche Landschaften. Dafür wählt er einen mal kleineren, mal größeren Ausschnitt einer Landschaft, in den er Modellhäuser, Miniaturfahrzeuge oder kleine Spielzeugbäume platziert. Die Proportionen verschieben sich und lösen bei der Betrachtung Verwirrung aus. Ganz ähnlich arbeitet auch Julian Charrière, der Erdhügel in monumentale Bergpanoramen verwandelt und mit der Erwartung von alpinen Orten spielt. Die titelgebenden Geodaten seiner „Panorama“-Serie verweisen jedoch anders als vermutet auf eine gewöhnliche Berliner Baustelle.
Regelrechte Un-Orte begegnen uns in den Modell-Naturen Oliver Bobergs, der unscheinbare öffentliche Räume, sogenanntes Niemandsland, en miniature inszeniert, um sie anschließend fotografieren zu lassen. Mittels erfindungsreicher Materialexperimente und einer ausgeklügelten Beleuchtung schafft er erstaunlich real wirkende Szenerien. Das künstlich Konstruierte ihrer Modelle lässt dagegen die Künstlerin Shirley Wegner bewusst sichtbar. In ihren großformatigen Landschaftsaufnahmen bezieht sie sich auf keine konkreten Ereignisse, sondern beruft sich auf das eigene Bildgedächtnis. Aus Alltagsmaterialen baut sie raumfüllende Bricolagen von Landstrichen ihrer israelischen Heimat, die sie – kombiniert mit Malerei und Zeichnung – anschließend mit der Kamera festhält.
Alle fünf Künstler*innen stellen die Vorlagen für ihre Bilder von Hand her und verzichten auf eine digitale Nachbearbeitung. Sie bewegen sich somit im medialen Schwellenbereich zwischen Skulptur, Modellbau und Fotografie, wobei letztere als abschließende Präsentationsform Bedeutung erlangt, da die gebauten Modelle oftmals im Anschluss zerstört werden. Das Erkunden der Grenzen von Wirklichkeit und Künstlichkeit, von Wahrheit und Betrug, das Hinterfragen unserer Wahrnehmung und das Spiel mit unseren Sehgewohnheiten stehen im Zentrum der künstlerischen Herangehensweisen.
Es ist zum einen die Lust am Schein, die uns im Bann hält und unser aktives Sehen herausfordert: Wir beginnen die Bilder zu durchsuchen nach den Fehlern, dem Moment, in dem die vermeintliche Realität ins Künstliche kippt und wir im wahrsten Sinne des Wortes enttäuscht werden. Zum anderen beeindruckt das schöpferische Potenzial: Die Künstler schaffen nicht bloß ein Abbild der Natur, sondern sie werden selbst zum Schöpfer. Ihre Modelle erzeugen eine Parallelwelt, in der die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, die wir erkunden, hinterfragen oder einfach bestaunen können. In diesem Sinne sensibilisieren uns die Bilder nicht nur für einen kritischeren Blick auf das, was wir sehen, sondern sie laden uns auch ein, in sie einzutauchen und sich von ihrem Rätsel einnehmen zu lassen.
Nach den Stationen im Kallmann-Museum Ismaning und der Ludwig Galerie Saarlouis ist die Ausstellung noch bis zum 24. November 2019 in der Stadtgalerie Kiel zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Michael Imhof Verlag erschienen. Ein begleitendes Veranstaltungsprogramm ist in Planung.